Es ist mal wieder Zeit, die Wohnung zu renovieren, neue Möbel anzuschaffen und den eigenen vier Wänden insgesamt eine Veränderung zu verpassen. Wir Deutschen unterscheiden uns dabei nicht viel von anderen Nationen. Die neue, trendige Couch ist schnell ausgesucht, der Tisch auch und die Gardinen sind außerordentlich teuer, machen aber richtig was her. Doch wenn es dann an die Gestaltung der Wände mit neuen Farben und Tapeten geht, sind wir überhaupt nicht mutig. Es wird einfach wieder weiß! Weiß ist praktisch, hell und lässt sich mit allem kombinieren. Also bleiben wir dabei, auf Nummer sicher.
Die Wand, womöglich noch mit des Deutschen liebstem Stück, der Raufasertapete, ausgekleidet, kann ganz einfach gestrichen werden. Da braucht man noch nicht einmal einen Maler, geschweige denn einen Fachmann für Farben. Super! Wieder was gespart! Und wenn dann doch ein Auszug ansteht, will der Vermieter doch sowieso, dass alle Wände wieder im neutralen Weiß gestrichen werden. Warum Experimente wagen und wie unsere Freunde aus Skandinavien zum Beispiel, zu bunten Farben und gemusterten Tapeten greifen? Wir wollen Ihnen das Weiß auch gar nicht ausreden. Wir wollen Sie jedoch dafür sensibilisieren, wie abwechslungsreich, aufregend und wirkungsvoll eine Wandgestaltung in Weiß sein kann, mit dem Wissen, dass Weiß neben sich keine Farbe wirklich duldet, sich nicht einbindet und eindimensional wirkt.
Weiße Wände können so richtig langweilig sein. Greifen Sie nicht auch oft zum feinsten Reinweiß aus dem Baumarkt? Mit der Farbe Weiß verbindet man Helligkeit, Reinheit und Unschuld. Sie soll Weite und Leichtigkeit in die Räum bringen, zeitlos und unkompliziert kombinierbar sein. Doch die Allzweckfarbe Reinweiß, die auf den Raufaserwänden unserer Wohnungen vor sich hinvegetiert, kann genau das nicht. Sie ist langweilig, steril, unfreundlich und mehr tot als lebendig. Weiße Räume sind lebensfeindlich und schränken uns in unserer Wahrnehmung ein. Denn Weiß legt sich wie ein Nebel über alles und vergraut die Atmosphäre.
Sie sind allgemein beliebt, weil man sich nicht festlegen muss und damit einer Auseinandersetzung um das eigene Verhältnis zu Farben aus dem Weg gehen kann.
Und dennoch geht ein Trend in der Wohnkultur mit viel Aufmerksamkeit in Richtung Weiß. „White Living“ heißt das aktuelle Zauberwort für puristische Individualisten, die in zeitloser Eleganz wohnen, arbeiten, leben möchten. Weiße Wände kombiniert mit weißen Möbeln und weißen Accessoires wie Teppichen, Wandbehängen, Gardinen, Vasen, Schalen und sonstigen Objekten, die einen Raum in seiner Gesamtheit vervollständigen sollen. Wie passt das zu unserem Appell, Ihre Wände dieses Mal eben nicht mit weißer Farbe trostlos zu streichen? Wir wollen es Ihnen gern erläutern, denn Weiß ist nicht einfach nur weiß.
Und: Nein! Der Verzicht auf Farbe ist weder zeitlos noch rücken dadurch einzelne Objekte in den Fokus.
Das Totschlagargument der Zeitlosigkeit ist es, das für Ängste, etwas falsch zu machen, ins Feld geführt wird. So entstehen klinisch weiße Wände in Millionen Wohnungen. „Zeitlos“ und „neutral“ erschlagen jede davon abweichende Bewertung. Dabei werden die ganz unterschiedlichen Ebenen der Farbe Weiß miteinander vermengt und nicht klar voneinander getrennt. Dieses Phänomen ist sehr häufig bei den psychologischen Aspekten eines Themas zu beobachten.
In reinen weißen Räumen sind wir nachweisbar einer Ambivalenz aus permanenter Unterforderung und gleichzeitiger ständiger Überforderung unserer Wahrnehmung ausgesetzt. Unsere Aufmerksamkeit ermüdet, wenn es zwischen den einzelnen Elementen in einem weißen Raum kein Wechselspiel gibt. Weiß bringt uns in einen inneren Aufruhr, in eine Unruhe, wenn es uns ständig strahlend hell umfängt. Diese gegenteiligen Wahrnehmungen gilt es mittels eines durchdachten und ausgefeilten Farbkonzepts aufzulösen. Auch in einem Raum, in dem Sie zum Beispiel dem schon genannten Trend des „White Living“ frönen, kommt es darauf an, die einzelnen Elemente miteinander in Kommunikation zu bringen; die unbunte Farbe Weiß dialogfähig zu machen und damit ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit in die eigenen vier Wände zu kreieren.
Denn, auch wenn Weiß als Summe aller Farben des Lichts häufig nur Neutralität ausdrückt, symbolisiert sie doch zum einen Freude, Reinheit und Unschuld und zum anderen Gefühle, wie Stille und Leere. Darum stellt sich die Frage: Warum sich in Neutralität, der Auflösung der Wahrnehmung und Gefühle in einer nichtssagenden Umgebung, in großes Schweigen (wie Kandinsky die Farbe Weiß einmal beschrieben hat) begeben, wenn wir die Farbe zum Sprechen bringen können?
Farben haben ganz unterschiedliche Wirkungen auf uns. Farben können Wärme vermitteln, aber einen Raum auch sehr kühl und steril wirken lassen. Sie können uns beruhigen oder aufregen, sind harmonisch und aufmunternd oder werden als deprimierend und erdrückend empfunden. „Farben haben viel zu tun mit sehr frühzeitlichen Grundlagen unseres Erfahrungswissens und auch mit anthropologischen Werten. Farben haben also Botschaften in sich, die angelernt sind. Das können ganz individuelle Erfahrungen aus der Kindheit sein oder etwas, was die ganze Menschheit betrifft … Wohlfühlen hat etwas zu tun mit Geborgenheit und einer wärmenden Wahrnehmung … Weiß bedeutet einen Verzicht zu üben, der 9.999.999 andere Möglichkeiten auslässt. Und das ist nicht einzusehen...
Wenn man es verwendet, muss das Weiß angetönt sein - als sogenannte Offwhites (gedeckte, nicht-reine Weißtöne) oder mit Sorbettönen. Das sind dann Töne, die eine Charakteristik haben: woll- oder leinenhaft, wolken- oder nebelähnlich. Ich weiß: In der Musik sind auch Pausen wichtig. Wenn ich Weiß also als Akzent benutze, geht das auch. Weiß bedeutet für mich Pause machen von allem - von Stimmung, von Gefühlen, von Empfindungen.“
Dies sind die Worte von Professor Axel Venn, einem der führenden deutschen Wissenschaftler auf dem Gebiet der Farbpsychologie und Farbgestaltung, der in verschiedenen Interviews erklärt, warum weiße Wände lebensfeindlich sind. Er bringt uns mit seinen Worten zur Auflösung des Problems der weißen Wände und zeigt die Komplexität dieser Farbe. Verwenden Sie nicht einfach nur Weiß, sondern entdecken Sie Weiß in all seinen Schattierungen und damit unterschiedlichsten Wirkungen. Arbeiten Sie mit Beimischungen von Farbe im Weiß; schaffen Sie genau das, was einem reinen Weiß fehlt und es damit so unerträglich macht: Dialog! Das gelingt nur, wenn Sie die Raumstrukturen, die Lichtverhältnisse, die Beleuchtungssituation, die einwirkende Umgebung in der Auswahl mit berücksichtigen; um nur die wichtigsten Parameter hierfür zu nennen.
Wir können eine unendlich lange Liste zusammenstellen, in der wir die Schattierungen von Weiß und die Kombinationen dieser Töne erläutern. Doch Sie werden es sich immer noch nicht konkret vorstellen können. Deshalb zeigen wir Ihnen, wie wir – harryclarkinterior - in unseren Projekten mit Weiß arbeiten und Räume gestalten - denn Bilder sagen mehr als tausend Worte:
In einer rein weißen Umgebung treten die Einrichtungselemente voneinander isoliert auf. Es ergibt sich keine Verbindung zwischen ihnen. In den Vordergrund tritt ihre Gegenständlichkeit, ihr Objektcharakter. Gleichzeitig treten sie in Konkurrenz zueinander. Gestalten Sie die Umgebung farbig, zum Beispiel mit farbigen Wänden oder mit farbigen Objekten. Aber: farbig heißt nicht bunt. Schauen Sie aufmerksam in die Natur, wie viele Farbnuancen es dort zu den unterschiedlichsten Jahreszeiten gibt und wie viele Farbkombinationen, die wir als angenehm und schön empfinden. Das gelingt auch im Interior-Design. Durch Tönungen und Farben werden Räume zu einer Gesamtheit verbunden. Weiß harmoniert mit vielen Materialien und Farben. Eine ganz besonders ausgewogene Balance, aber auch Kontrastierung gehen Weißtöne mit Holz und Metallen ein. Kupfer, Messing, Gold oder Chrom treten mit Off-Whites und anderen Weißtönen in einen spannenden, aber nicht zu unruhigen Dialog.
Weiß muss nicht immer nur Reinweiß sein. Es gibt unzählige verschiedene Weißtöne, die je nach Umgebung, Material und Beimischung von anderen Farben ganz unterschiedlich wirken. Die faszinierende Wirkung verschiedener Weißtöne erstrahlt ganz besonders gut, wenn für die Mischung der Farben echte Natur- und Erdpigmente verwendet werden. Dadurch entstehen natürliche Schattierungen und Töne, die in ihrer Wirkung unübertroffen sind. Jeder Ton für sich ist eigenständig und kraftvoll. Besonders die Off-Whites strahlen dann eine Kraft aus und bringen behagliche Stimmung in den Raum. Off-Whites haben ganz leichte, andersfarbige Anteile. Weitere, gern genutzte Weißtöne in der Raumgestaltung sind Creme- oder Elfenbeinweiß, mit einem leichten Gelb- bzw. Sandstich und damit sehr wohnlich wirken, Altweiß mit einem Hauch von Braun und Wollweiß, wirkt wolken- oder nebelähnlich.
Mit diesem kleinen und vielleicht provozierenden Einblick in die lebendige Welt der Weißtöne haben wir den Versuch unternommen, Ihnen zu zeigen, wie spannend und abwechslungsreich die Raumgestaltung mit Weiß werden kann. Da Weiß alles reflektiert und aufnimmt, ist für die Gestaltung in Weiß nicht nur ein Eimer Farbe vonnöten, sondern mindestens zwei und mit unterschiedlichen Tönungen, die entsprechend der individuellen Raumsituation ausgesucht wurden.
Deutlich werden Weiß-Unterschiede, wenn man sich Weiß auf Lanzarote, auf Santorini, in Paris, in Buenos-Aires, oder an der Ostküste der USA vergegenwärtigt. Allein in diesen Beispielen gibt es die unterschiedlichsten Lichtverhältnisse, Materialien und geografischen Verhältnisse. Im kleineren, aber nicht minder entscheidenden Maßstab gilt das auch für die Weiß-Auswahl in unseren Breiten und Regionen und besonders für unser Zuhause.